Reflexion
Diese Therapie hatte eine lange Vorgeschichte und dauerte einige Jahre; sie ist hier naturgemäß verkürzt dargestellt.
Die Psychosomatik bezieht sich im Umgang mit Krankheit und Gesundheit auf die biologische, die psychische und die soziale Ebene des Menschen. Betont man nur einen Aspekt, verliert man die anderen Aspekte und Möglichkeiten der Heilung oder Besserung aus dem Auge. So wie das biologisch – naturwissenschaftliche Modell der Natur des Menschen nicht gerecht werden kann, kann auch die Psyche überbewertet werden. Die biologische Ebene bildet notwendigerweise einen wichtigen Pol des psychosomatischen Denkens und Handelns. Nach der jahrzehntelangen Konzentration auf die rein organische Seite der Krankheiten fallen viele Menschen ins andere Extrem und sehen sämtliche Beschwerden als rein psychisch bedingt.
Der Mensch ist eine Körper-Seele-Einheit in einem Beziehungsgeflecht. Was an Gefühlen, Impulsen, Bedürfnissen, Wahrnehmungen und Erleben unerlaubt und beschämend erscheint, darf nicht ausgedrückt, ja meistens nicht einmal wahrgenommen werden. So drückt die körperliche Erkrankung häufig unerlaubte Inhalte aus und verschlüsselt die seelische Not. Diese körperlichen Signale einer seelischen Schwierigkeit oder Beziehungskrise wieder zu entschlüsseln ist oft sehr schwierig, weil einerseits der verborgene seelische Schmerz und andererseits die damit verbundene Beschämung wieder spürbar werden. Außerdem haben viele Menschen Angst, als „Psycherl“ abgewertet zu werden, oder an ihrem Schicksal Krankheit auch noch „selbst schuld“ zu sein (z.B. Selbstvorwürfe: „Womit habe ich das verdient?“). Denn bei der Suche nach der Ursache und dem Sinn seiner Krankheit ist der Mensch sehr verletzbar und unsicher. Körperliche Leiden werden von der Gesellschaft anerkannt und gepflegt. Also: lieber Medikamente nehmen als mein Leben ändern!
Besonders in der westlichen Welt sind psychische Leiden aber als Wegbereiter für körperliche Beschwerden sehr bedeutsam. Durch die ständige seelische Belastung können Krankheiten wie Migräne, Verdauungs- und Herzbeschwerden oder sogar Krebs zum Ausbruch kommen. Gleichzeitig stellt der schwache Seelenzustand aber ein Hindernis für die Heilung dar.
Im Gegensatz zu früher ist heute die Überforderung das Hauptproblem der meisten Menschen. Erschöpfung und Ratlosigkeit der Fülle von Möglichkeiten des Lebens gegenüber drücken sich häufig in Schmerzen und Ermüdungszuständen aus. Häufige psychosomatische Leiden der neunziger Jahre sind Erschöpfungszustände, wie das „Chronische Erschöpfungssyndrom“ und das „Burn-out-Syndrom“, ferner der sogenannte „Weichteilrheumatismus“ (Entzündungen von z. B. Magen, Harnblase), Schmerzen (Kopf etc.) oder Allergien.
Im biologisch – naturwissenschaftlichen Modell hängen seelische und körperliche Leiden folgendermaßen zusammen: Alle Reize werden über das Gehirn an das Hormonsystem und von dort an das Immunsystem weitergeleitet. Menschen, die ihre Probleme oder Konflikte über eine lange Zeit nicht lösen können, schwächen damit ihr Immunsystem.
Sobald dann in der Folge Krankheiten auftreten, der Mensch also nicht mehr funktioniert, so wie er soll, entsteht eine neue seelische Krise (über Selbstabwertung, weil er seinen Ansprüchen, gut zu funktionieren, nicht entspricht). Das kann sich dann immer weiter aufschaukeln.
Die Aufarbeitung psychischer Probleme und Konflikte wird von Patienten wie von vielen Ärzten gescheut. Die Beschwerden sollen nur rasch verschwinden, und das am besten mit irgendeinem Mittel, das ohne eigenes Zutun heilt.
In der Psychotherapie können die Zusammenhänge mit der eigenen Lebensgeschichte erfahren, die alten Konflikte und Beschämungen wahrgenommen und aufgearbeitet werden, bzw. in Relation zum jetzigen Erwachsenenleben gestellt und damit entschärft werden. Besonders hilfreich kann dabei die Unterstützung durch eine Gruppentherapie sein, die von dem Betroffenen wie eine „neue Familie“ erlebt wird, in der vieles möglich wird, was zu Hause unmöglich war.
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